Der Kindergarten Groß-Alisch im Wandel der Zeit

 

Nach vielem Nachfragen und Erinnern konnte ich über den Kindergarten in Groß-Alisch vor dem zweiten Weltkrieg nur sehr wenig erfahren. Wir haben uns als Kinder, Jugendliche und auch später kaum getraut, unsere Vergangenheit zu ergründen. Eben diese wurde uns zum Verhängnis und die Wahrheit sollte doch keiner erfahren. So kann ich nun berichten, wann die Institution – Kindergarten – gegründet wurde, ist unklar. Eines steht fest: dass schon zwischen 1850 und 1900 in Groß-Alisch Kinder betreut wurden, während ihre Eltern der Feldarbeit nachgingen. Ob der Kindergarten damals schon zur Kirche gehörte oder zur politischen Gemeinde zugeordnet war oder sogar eine eigenständige Elterninitiative war, kann nicht mehr herausgefunden werden. Später, in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg, war er der Kirche zugeordnet.

Laut Erinnerungen war schon Sara Kuttesch, geb. Zakel (die Großmutter von Fredi Drotleff) als Kindergärtnerin tätig. Natürlich ging es damals vorwiegend um die Betreuung der Kinder und ums Einleben in eine soziale Gemeinschaft, da bekanntlich Kinder, Kinder brauchen, um sich richtig zu entwickeln. Den Kindern wurde in einem Körbchen oder Täschchen das Essen für den ganzen Tag von zu Hause mitgegeben. In welchem Gebäude oder Gehöft der Kindergarten seinen Anfang machte, ist unbekannt. Mir wurde gesagt, dass, nachdem die Schule gebaut wurde, der Kindergarten in dem Schulgebäude im „Saal“ abgehalten wurde.

Es war ein Erntekindergarten, der nur in den Sommermonaten gehalten wurde. Wahrscheinlich brauchte man die Räume für den Schulbetrieb im restlichen Jahr.

Vor dem zweiten Weltkrieg waren hier folgende Kindergärtnerinnen tätig:

·        Sara Schuffert (Monikatante) aus Marienburg, Helferin: Katharina Paul, geb. Gitschner, Hausnr. 196

·        Um 1931 Sara Simonis, geb. Maurer aus Keisd, Helferin Sara Kuttesch, verh. Paul, Hausnr. 112

·        Eine Kindergärtnerin aus Schaas, Schaasertante genannt

·        Susanna Geiger aus Pruden, Helferin: Maria Zenn, geb. Türk, Hausnr. 68

·        Elisabeth Weinhold aus Groß-Alisch Hausnr. 73, Helferin: Sara Binder, geb. Fieltsch, Hausnr. 142 und Maria Zakel, Hausnr. 199

·        Maria Kuttesch, geb. Bodendorfer aus Groß-Alisch. Hausnr. 190, Helferinnen unbekannt

·        Sara Monika Schuffert kam nach einer Unterbrechung wieder nach Alisch zurück und blieb bis zu den Kriegswirren, als der Kindergarten seine Tätigkeit einstellte.

Diese Kindergärtnerinnen wurde in Kursen an der „Adele Zay“- Schule in Kronstadt ausgebildet. Meiner Kenntnis entzieht sich, wer wirklich für diesen Beruf ausgebildet war oder einfach als Laie diesen schönen und gleichzeitig verantwortungsvollen Beruf ausgeübt hat.

Nachdem 1939-1940 der Gemeindesaal gebaut wurde, zog der Kindergarten  um. Dort bestand die Möglichkeit, für die Kinder ein warmes Mittagessen vorzubereiten, da es dort eine Küche gab. Es gab aber auch Zeiten, wo die Eltern der Reihe nach das Essen für alle Kinder zu Hause kochten und es im Kindergarten servierten. Es soll einen Speiseplan gegeben haben, der dasselbe Essen für den jeweiligen Wochentag vorsah, zum Beispiel am Freitag immer Tomatensuppe und Maiskuchen. Wie das, vom hygienischen und sanitären Standpunkt gesehen, damals gelöst wurde, ist heute schwer vorstellbar. Es wurde damals auch eine Mittagsruhe eingeführt, in der die Kinder auf eigenen mitgebrachten Faltbettchen oder Klappbettchen ihren Mittagsschlaf hielten. Es hatte sich inzwischen auch inhaltlich viel geändert. Die Kindergärtnerinnen versuchten den Kindern neben gutem Benehmen in der Gruppe auch verschiedene handwerkliche Fertigkeiten beizubringen. Es wurde viel gebastelt, vor allem mit Kleisterkleber, es wurde genäht und gehämmert. Großen Wert wurde schon damals auf die musikalische Erziehung gelegt. Viele schöne Kinderlieder, die teils bis in unsere Tage erhalten blieben, wurden oft gesungen, dazu Singspiele und rhythmische Übungen gemacht. Alles war freiwillige Beteiligung der Kinder nach Interesse und Neigung. Wie mir erzählt wurde, gab es jedes Jahr eine Abschlussfeier, wo auch zur Körperertüchtigung manches geboten wurde, zum Beispiel Schauturnen und sogar kleine Theaterstücke wurden aufgeführt, was ja auch zum Erlernen der deutschen literarischen Sprache beitrug, da die Kinder im Elternhaus bis zum Eintritt in die Grundschule nur ihren sächsischen Dialekt sprachen. Sehr beliebt bei den Kindern war es, Gedichtchen auswendig zu lernen und vorzutragen.

Den Eltern war es wichtig, dass ihre Sprösslinge gut aufgehoben waren und den ganzen Tag betreut wurden. So konnten sie in Ruhe ihrer schweren Feldarbeit nachgehen. Kurz vor Beginn des zweiten Weltkriegs wurde der Kindergarten dann auf den Hof von Johann Zakel Hausnr. 150 neben der Staatsschule in der Niedergasse  umgesiedelt und gleichzeitig auf dem Hof von Familie Bodendorfer („Stangenreiterhof“) Hausnr. 107 eine Kinderkrippe eröffnet, wo Kinder bis zu drei Jahren betreut wurden. Leider hat dies nur kurze Zeit gedauert, denn mit Beginn des zweiten Weltkrieges in Siebenbürgen und Groß-Alisch hörte der Kindergarten und die Kinderkrippe auf zu bestehen.

Erst 1950 wurde der Kindergarten als staatlicher Kindergarten mit deutscher und rumänischer Abteilung auf dem Hof von Andreas Menning („Paprika“) Hausnr. 168 wieder eröffnet. Nun hatte der Kindergarten einen anderen Stellenwert, und zwar als erste Stufe des Unterrichtswesens war er der Grundschule untergeordnet. Es war aber noch nicht Pflicht, seine Kinder in den Kindergarten einzuschreiben. Die Erzieherinnen, wie die Kindergärtnerinnen nun genannt wurden, mussten für diese Arbeit ausgebildet sein. In Herrmannstadt gab es eine pädagogische Schule für Erzieherinnen in deutsche Sprache. Die Erzieherin, die damals die deutsche Abteilung geleitet hat, blieb nur bis 1952. Ihr Name ist uns allen, Alt und Jung nicht mehr in Erinnerung. Vielleicht gibt es aber doch noch jemanden, der sich daran erinnern kann und uns das mitteilt. Sie kam von Mediasch oder Umgebung und hatte ein Mädchen mit. Sie wurde nach zwei Jahren von der Erzieherin Katharina Eckhard (Käthe genannt) abgelöst. Ihr stand  als Helferin Sara Binder geb. Fieltsch zur Seite. Sie war nicht nur Helferin, sondern auch Köchin. Der Kindergarten hatte einen Etat vom Staat, der von den Eltern bezuschusst werden musste. Das ganze Personal wurde vom Staat bezahlt. Die Erzieherinnen übernahmen für die Zeit, welche die Kinder im Kindergarten waren, die ganze Verantwortung: Aufsichtspflicht, leibliches und seelisches Wohlbefinden des Kindes und dazu die Erziehungsarbeit, die gleichbedeutend mit Vorschulerziehung war. Kindergarten war noch immer nicht Pflicht für jedes Kind. Großes Gewicht wurde auf die Spracherziehung in literarisch deutscher Sprache gelegt. Die Kinder mussten sich daran gewöhnen, im Kindergarten ihre Wünsche und Anliegen deutsch und nicht sächsisch zu formulieren, was nicht immer leicht war.

Ein anderes Gebiet war das kennen lernen der Natur,  Pflanzen und Tiere benennen und ihre Eigenschaften hervorheben. Es wurden viele Ausflüge und Spaziergänge in die freie Natur gemacht. Die Erzieherinnen bemühten sich, den Kindern logisches Denken anhand von kleinen Rechnungen in Zahlenraum von 1 bis 10 beizubringen. Das Zählen im Zahlenraum 1-10 war Voraussetzung für diese Rechnungen und deshalb wurde dies Anhand von konkreten Gegenständen geübt. Wichtig war es damals schon, eine Grundlage für die Arbeit in der Schule zu legen.

Es wurde viel gemalt, mit Stift- und Wasserfarben. Aus Knete („Plastilin“) wurden Gegenstände, Tiere, Spielzeuge geformt. Den größten Spaß hatten Kinder, wenn gesungen wurde, weil es damals noch keinen Rundfunk oder Fernseher gab. Die Kinder machten sehr gern mit und freuten sich immer auf die Bewegungsspiele.

Nach dem Krieg, muss erwähnt werden, waren die deutschen und die rumänischen Kinder meist zusammen, lernten also nebenbei auch die rumänische Sprache.

Nachdem die Erzieherin Katharina Eckhardt aus Alisch nach Mediasch versetzt wurde,  kam Katharina Paul geb. Maurer („Trinnitant“) aus Irmesch 1955 bis 1962 als         Erzieherin nach Groß-Alisch. Sie war von Beruf Lehrerin. Ihre Ausbildung hatte sie in der pädagogischen Mittelschule in Schäßburg gemacht und dies fand nun seinen Niederschlag in ihrer Arbeit als Erzieherin. In dieser Zeit wurde der Kindergarten nochmals umgesiedelt, und zwar auf den Hof von Maria Hermann Hausnr. 150, die in Groß-Lasseln lebte. Katharina Paul übernahm sogar die Leitung des Kindergartens, was damals eher eine Ausnahme war, begünstigt aber dadurch, dass die Erzieherin der rumänischen Abteilung, Floarea Frîncu unqualifiziert war. Die neue Leiterin gestaltete den Kindergarten nun zu einer modernen, zeitgemäßen Einrichtung. Helferin und Köchin blieb Sara Binder („Binder Zirrtant“). Schon 1956 wurden die enteigneten Höfe wieder zurückgegeben und nun musste der Kindergarten wieder ins Gebäude der alten Schule umziehen, wo das Rathaus („Sfat“) seinen Sitz hatte. Alisch wurde an Dunnesdorf angegliedert und so das Rathaus aufgelöst. Nun standen den Erzieherinnen mehrere Räumlichkeiten zur Verfügung. Jede Gruppe hatte einen eigenen Gruppenraum, dazu  Spielraum, Speiseraum, Schlafzimmer, Küche und  verschiedene Abstellräume. Dort gab es einen großen Hof, wo die Kinder bei schönem Wetter spielen konnten.  Der Kindergarten begann am 1. März und dauerte bis 30. November. Der Ganztagskindergarten war abhängig von der Wetterlage und Arbeit der Eltern  in der Landwirtschaft. Meistens ab 1. Mai blieben die Kinder ganztags im Kindergarten und erhielten ein warmes Mittagessen, das die  Eltern mit Naturalien unterstützten.

Um die Arbeit im Kindergarten transparent zu machen wurden Ausstellungen mit den Arbeiten der Kinder gemacht, meist anlässlich von Feierlichkeiten wie: 8. März (Internationaler Frauentag), 1. Juni (Internationaler Kindertag), Winterbaumfest und Schlussfeiern. So erhielten die Eltern einen Einblick in die Arbeit der Erzieherinnen. Schlimm war nur, dass man sehr darauf achten musste, dass in Erzählungen, Geschichten, Liedern keine religiösen Inhalte vermittelt wurden. Es musste alles sehr patriotisch ausgerichtet und zugeschnitten sein. Die Arbeit der Erzieherin wurde mindesten einmal jährlich anlässlich der Inspektion seitens des Schulinspektorats genauestens unter die Lupe genommen. Abweichungen von der vorgegebenen Linie führten zu herber Kritik von Seiten der Inspektoren und bei „Wiederholungstätern“ zu Versetzung oder gar Rausschmiss.

 Als Katharina Paul einen Platz als Lehrerin in der Alischer Schule angeboten bekam, begann am 1. September 1962 nun auch meine Arbeit im Kindergarten. Ich hatte Katharina Paul schon im Geburtenurlaub vertreten und gleich nach dem Abitur vier Monate in Gross-Lasseln als Erzieherin gearbeitet, wusste also genau, was auf mich zukam. Nach Ablauf eines Jahres habe ich mich in Hermannstadt am Pädagogischen Institut angemeldet, und dort durch Fernstudium die Ausbildung zur Erzieherin gemacht.

Inzwischen hatte sich so manches geändert:

In dieser Zeit waren auf beiden Abteilungen viel mehr Kinder als gesetzlich zugelassen eingeschrieben. Deshalb wurde die rumänische Abteilung auf 3 Gruppen mit 3 Erzieherinnen aufgestockt. Die deutsche Abteilung blieb aber trotz großer Kinderzahl  (cca. 40 Kinder) mit einer Gruppe. Die Eltern setzten sich aber durch und so erhielt ich in Adelheid Müller eine tüchtige Helferin, die von den Eltern selbst bezahlt wurde.

Inzwischen hatte Floarea Frîncu die Leitung des Kindergartens übernommen und ihre, aus „politischer“ und „patriotischer“ Überzeugung getroffenen Entscheidungen, vor allem auch was die deutsche Abteilung betraf, machten den Erzieherinnen das Leben nicht immer leicht.

In der Schule hatte Lehrerin Paul Ende der sechziger Jahre damit begonnen, die sächsische Tracht mit den Eltern für die Kinder zu nähen. Dem wollten die Kindergarteneltern nicht nachstehen und so wurden die Abschlussfeste, das Kronenfest und sonstige Feste und Veranstaltungen dazu genutzt, die schöne sächsische Tracht von Kindesbeinen an mit Stolz zu tragen. 

Zu diesem Zeitpunkt  kochte Sara Drotleff mit viel Hingabe und Geduld das Essen für alle Kinder. Nach ihr übernahm Martha Herrmann das Regiment in der Küche, die dem Kindergarten bis 1977 treu blieb, als der Ganztagskindergarten sich auflöste. Danach wurde das Kindergartenschuljahr analog zu dem der Schule gestaltet.

Für Sauberkeit und Ordnung war Katharina Fakesch,  Hausnr. 162a zuständig, die das mit einer besonderen Genauigkeit machte.

Irgendwann Ende der 70ger, Anfang der 80er Jahre wurde die „Falkenorganisation“ („Soimii Patriei“) ins Leben gerufen. Die Kinder mussten zu allen möglichen Anlässen eine ziemlich geschmacklose Uniform tragen. Was aber noch schlimmer war, waren die politischen Inhalte, die den Kindern übermittelt werden mussten, die keineswegs kindgerecht vermittelbar waren.

In den letzten sieben Jahren meiner Arbeit in Groß-Alisch wurde ich zur Leiterin des Kindergartens ernannt, weil die Behörden wussten, dass der Kindergarten die Unterstützung der Eltern brauchte und die rumänischen  Eltern kein Interesse an dieser Arbeit zeigten.

So wurden im Kindergartenhof unter Mithilfe der Eltern ein Sandkasten, Wippen und andere Turngeräte aufgestellt. Die alte Toilette wurde abgerissen und eine neue gebaut. Als die Gasheizung nicht mehr ausreichte, die großen Räume zu heizen, besorgten die Eltern Brennholz. Der elektrische Strom wurde rationiert. Nun saßen wir morgens auch oft im dunkeln. Trotz allem besuchten alle Kinder den Kindergarten regelmäßig. Jeder war sich bewusst, dass hier die Grundlage für die Grundschule gelegt wurde.

An dieser Stelle möchte ich allen Eltern, die im Laufe der Zeit mir ihre Kinder anvertraut haben, einen herzlichen Dank für die immer tatkräftige Unterstützung aussprechen. Besonders in der Zeit, als der politische Druck immer größer und fast unerträglich wurde, waren die Eltern sehr verständnisvoll.

Der Winter 1989 war dann die schlimmste Zeit. Kein Wunder, dass es kurz vor Weihnachten zur Revolution kam und damit zur Erlösung von dem überaus großen politischen Druck, dem wir alle ausgesetzt waren. Die junge Generation hatte nur einen Wunsch – auswandern. So sank die Anzahl der Kindergartenkinder 1990 von 38 auf 13 Kinder. Bis September 1991 waren es noch 5 deutsche Kindergartenkinder.

So endete die Geschichte des deutschen Kindergartens in Groß-Alisch, gleichzeitig mit meiner  Laufbahn als Erzieherin in Siebenbürgen.

Viele der angeführten Fakten, vor allem was die Anfänge der Kinderbetreuung  in Groß-Alisch betrifft, sind nur Vermutungen oder mündlich von Generation zu Generation weitergegeben worden. Falls also manche Daten nicht richtig sein sollten, bitte ich um Richtigstellung durch Ergänzungen oder Stellungnahmen.

 

Erzieherin i.R.

Susanna Menning

 

Wiesbaden-Delkenheim, Februar 2004

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