Groß-Alischer
Pfingsttreffen 2002
Ein
Meilenstein in der jüngsten Geschichte unseres Dorfes
Was ursprünglich
als Einweihung des frisch renovierten Innenraumes der evangelischen Kirche in
Groß-Alisch gedacht war, entwickelte sich unverhofft zu einem Kultur- und
Medienereignis.
Der Vorstand
der HOG Groß-Alisch beschloss in seiner letzten Sitzung, den Spendern für die
Renovierung der Kirche eine Freude zu machen und sie - wie auch alle anderen
Landsleute auf der ganzen Welt - zu einem Treffen im Heimatort einzuladen.
In der Groß-Alischer
Kirchengemeinde leben noch 64 Mitglieder, viele in Mischehen. Der Nachwuchs ist
sehr gering, trotzdem gibt es jedes Jahr eine Konfirmation. Die jungen
Mitglieder sind nur teils der deutschen Sprache mächtig. Pfarrer Gottfried
Vogel aus der Bundesrepublik, welcher die Gemeinde nebst anderen betreut,
braucht zum Kindergottesdienst und Konfirmandenunterricht einen Dolmetscher.
Trotzdem sind alle guten Mutes, auch auf diese Weise das Wort Gottes verkündigen
zu können und das Leben in der Kirche aufrecht zu erhalten.
Das
Bezirkskonsistorium der ev. Kirche in Schäßburg und sein Kurator Hermann Baier
standen uns in unserem Vorhaben beratend zur Seite. Unsere Bitte, einen ökumenischen
Gottesdienst zu veranstalten, fand großes Interesse. In der Annahme, dass viele
Landsleute dieses Treffen besuchen, mussten auch die Behörden benachrichtigt
werden. Der Ablauf des Treffens, welches sich über eine Woche erstreckte, wurde
in Deutschland festgelegt und an das Rathaus und Polizeibehörden vor Ort sowie
an das Bezirkskonsistorium und die Pfarrämter beider Konfessionen verschickt.
Zuspruch erhielten wir von allen.
Dann kam der große Tag. An der Brücke der Großen Kokel, die südliche Grenze zu Groß-Alisch, wurden wir von Reitern auf schön geschmückten Pferden und den Kirchenvertretern in siebenbürgisch-sächsischer Tracht empfangen. Von hier begann ein feierlicher Zug, der sich bis in die Mitte des Dorfes hinzog. Viele Menschen säumten die Straße und winkten uns zu. Sie hatten das ganze Dorf herausgeputzt und waren in gespannter Erwartung und festlicher Stimmung auf unseren Empfang.
Vor dem Pfarrhaus wurden wir von Bürgermeister Nicolae Mosora und anderen Vertretern der Behörden und Kirchen sowie von vielen Menschen begrüßt, anwesend waren die Presse und das lokale Fernsehen. Wir waren zu Tränen gerührt. Als unsere mitgereiste Musikkappelle im Torbogen des Pfarrhauses das Lied „Der Mai ist gekommen“ anstimmte, fielen sich die Menschen - Sachsen und Rumänen - weinend in die Arme.
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Voller Emotionen dankte uns der Bürgermeister, dass wir unser
Heimatdorf durch unseren Besuch ehren und dadurch unsere rumänischen Mitbürger
zum Umdenken anregen, dass wir willkommene Gäste sind, dass sie alles tun
werden, damit wir uns wohlfühlen und alle in Groß-Alisch in Privathäusern
wohnen werden.
Unser
HOG-Vorsitzender, Wilhelm Paul, nicht minder aufgeregt als alle anderen, dankte
für den unerwartet herzlichen Empfang.
Die kleine
evangelische Gemeinde hatte sich viel Mühe gemacht und empfing uns aufs
Herzlichste. Kurator Michael Fakesch dankte uns, dass wir sie nicht vergessen hätten
und entschuldigte sich, wenn es nicht mehr so wie früher wäre.
Frau Elfriede
Hermann, die Hauptorganisatorin vor Ort, lud uns alle zu Kuchen und
Erfrischungsgetränken ein. Der erste Kontakt mit den Daheimgebliebenen fand
statt.
Ein Gang
durchs Dorf war beindruckend: Die Häuser - bis auf einige wenige – sehr
sauber und schön gestrichen, die Bachufer frisch gemäht, aller Unrat entfernt,
die Hauptstraße asphaltiert, Gehsteige gepflastert, die Menschen sehr
freundlich.
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Am nächsten
Tag versammelten wir uns in der schönen, sauberen Kirche zum Gottesdienst und
zum Abendmahl. Pfarrer Gottfried Vogel und Pfarrer Lothar Schullerus jun.
gestalteten den Gottesdienst, Frau Hiltrud Schullerus begleitete uns an der
Orgel. Anwesend waren Bezirkskurator Hermann Baier, Herr Scheel vom Diakonischen
Hilfswerk und Herr Meindt, Architekt. Über 100 Besucher erlebten einen
Gottesdienst voller Emotionen und Freude an der schönen Predigt und mit
zahlreichen Ansprachen. 73 Gläubige empfingen das Heilige Abendmahl, für diese
Kirche eine Ausnahme. Ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, das vielen von uns
abhanden gekommen war, machte sich breit. Die Freude, für sich und die
Hilflosen etwas zu tun, prägte die gesamte Stimmung. Viele ließen den Tränen
freien Lauf. Wie sehr uns diese schützende Kirche gefehlt hat, in der uns alles
vertraut war, wurde uns bewusst.
Am mittleren
Portal der Kirche wurde eine Tafel zu Ehren der Spender und Restauratoren enthüllt.
Der Innenhof der Burg gab uns nach dem Gottesdienst Gelegenheit zur
gegenseitigen Begrüßung.
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Anschließend
gingen wir gemeinsam zum Friedhof. Dank großer Anstrengung der vorhandenen
Kirchenmitgliedern ist der Gesamtanblick des Friedhofes noch in Ordnung. Dieses
Bild dürfte sich aber in naher Zukunft ändern, wenn nicht bald Leute mit
dieser Arbeit beauftragt werden, natürlich gegen ein Entgelt. Die „Tornaz“,
ein Pavillon aus Holz inmitten des Friedhofes, war im Herbst zusammengebrochen
und soll noch in diesem Jahr mit Hilfe von Spenden wieder aufgebaut werden.
Dieses
Fleckchen Erde, welches wir immer mit Erfurcht betreten, sagte unser
Vorsitzender in seiner Ansprache, ist für uns eine Bindung an unvergessliche
Zeiten und Taten, die mit Menschen zu tun haben. Unsere Liebsten haben wir hier
zurückgelassen. Eines Tages werden wir alle auf einen Friedhof getragen werden,
aber es wird für viele nicht dieser sein. Dennoch sollten wir ihn nicht
vergessen. Nach einem Choral unserer Bläser gedachte Pfr. Lothar Schullerus, in
sächsischer Mundart, der Toten. Auch heute läuten die Glocken für jeden
Verstorbenen Groß-Alischer auf dieser Welt, auch wenn er nicht auf diesem
Friedhof beigesetzt wird.
Die fleißigen
Alischer Frauen hatten Stritzel gebacken und alle Landsleute zum Kaffee in den
schön geschmückten Gemeindesaal eingeladen. Elfriede Hermann hatte für jeden
Gast einen Anstecker mit einem Bild der Kirche aus Groß-Alisch bereit. Es
bestand nun die Möglichkeit zu Gesprächen über unterschiedliche Themen,
vorwiegend aber über die Kirche und ihre kleine Gemeinde. Das Schicksal meist
bedürftiger Menschen und deren akute Situation sollte nicht aus den Augen
verloren werden. Bis in die späten Abendstunden, teils auch unter den Klängen
der Musik vom Party-Trio, genossen wir das schöne Zusammensein.
Sonntag und
1. Pfingsttag sollte ein Novum in der evangelischen Kirche, aber auch im
gesamten Dorf, sein. Zum 1. Mal feierten wir in unserer 528 Jahre alten Kirche
einen zweisprachigen ökumenischen Gottesdienst. Die Spannung war spürbar, die
Erwartungen gemischt, das Ergebnis ein Riesenerfolg.
Pfarrer David
von der orthodoxen Kirche in Groß-Alisch hatte sich für diesen Tag
vorbereitet. In Absprache mit Pfr. Lothar Schullerus jun. hielt er die
Pfingstpredigt von der Kanzel. Die meisten Rumänen betraten zum ersten Mal
diese Kirche. Die Predigt verstanden alle, ist doch Pfingsten ein Fest, an dem
alle Völker dieser Erde die Sprache Gottes verstehen. Pfr. Lothar Schullerus
jun., aufgewachsen in Groß-Alisch, sprach über Pfingsten im lokalen Dialekt.
Auch
Vorsitzender W. Paul stellte in seiner kurzen Ansprache in rumänischer Sprache
unter Beweis, dass wir die Sprache und unsere Herkunft nicht vergessen haben.
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Eine
feierliche Stimmung hatte sich aller Kirchenbesucher bemächtigt. Die Wirkung
des zweisprachigen Gottesdienstes war überwältigend. Stehend vor dem Altar
sprachen beide Pfarrer das Schlussgebet. Alles war so einfach und verständlich,
alle fühlten sich angesprochen und waren gerührt. Der erste ökumenische
Gottesdienst war gelungen.
Die Ökumene
ist für eine Diasporakirche sehr wichtig. Die Bedeutung beginnt da, wo der Rumäne
oder Ungar dem sächsischen Nachbarn bei einer Beerdigung hilft und der Pfarrer
zweisprachig ist oder auch nur rumänisch spricht, weil er weiß, die Teilnehmer
verstehen sonst nichts von dem, was er sagt. Auch Martin Luther hat ja den
Leuten „auf den Mund gesehen“ und die Sprache gesprochen, die alle
verstanden. Das ist in der alten Heimat nun eben immer mehr das Rumänische. Das
Praktizieren der Ökumene ist für Kleinstgemeinden lebenswichtig, da man
aufeinander angewiesen ist. Mischehen führen zu einem ökumenischen
Zusammenleben, wo keiner der Partner sich ausgegrenzt fühlt. Es besteht die Möglichkeit,
den Menschen und der Öffentlichkeit
zu zeigen, dass die Kirchen enges nationalistisches Denken keinesfalls bejahen,
sondern sich auf dem gemeinsamen Weg in das 3. Jahrtausend als Hort aller
Christen verstehen. Das lebendige Evangelium soll die Menschen und die Völker
versöhnen und einen. Wir sind überzeugt, dass uns ein Schritt in diese
Richtung gelungen ist. Die anwesenden Rumänen waren zutiefst beeindruckt.
Gemeinsam mit ihrem Pfarrer David dankten sie uns für diese Einladung in die
evangelische Kirche und verliehen ihrer Hoffnung Ausdruck, dass es nicht die
letzte Aktion dieser Art gewesen sein möge.
Beim
gemeinsamen Mittagessen im Gemeindesaal mit Vertretern der rumänischen Bevölkerung
ließen viele Redner ihren Gefühlen freien Lauf. Soviel Eintracht und Zuneigung
gab es bis jetzt noch nie in Groß-Alisch unter Sachsen und Rumänen. Der Bürgermeister
N. Mosora dankte uns immer wieder für unseren Besuch und versicherte, er wünsche
sehr, dass es zu einer Neuauflage kommen werde.
Unter der
Leitung von Lehrerin Viorica Seceta, bot uns die Laienspielgruppe der rumänischen
Schule aus Groß-Alisch eine Bauernhochzeit. Die Kinder beeindruckten durch ihr
Können und die Farbenpracht der Kostüme. Das anwesende Publikum war gerührt.
Bis in die späten Abendstunden, konnten die Menschen Gedanken austauschen und
Erinnerungen nachhängen.
Die
Veranstaltung schlossen wir mit dem Siebenbürgenlied. Der Anblick stehender und
mitsingender Rumänen, bleibt unvergesslich. Es wäre wünschenswert, dass allen
Beteiligten deutlich geworden ist, dass uns mehr verbindet als trennt.
Die
restlichen Tage verbrachten wir mit Besichtigungen der Umgebung und des Burzenlandes. Die Gastfamilien kümmerten sich
rührend um uns. Ihnen danken wir auch auf diesem Wege. Die Vertreter der
Polizeibehörde gaben uns immer ein Gefühl der Sicherheit. Die Beamten des
Rathauses, an der Spitze ihr rühriger Bürgermeister Mosora, empfingen uns am
Tag vor unserer Rückfahrt nach Deutschland zu Kaffee und Kuchen im neu
renovierten Gemeindesaal in Dunnesdorf.
Der
offizielle Abschied war tränenreicher als der Empfang, und wir mussten dem Bürgermeister
versprechen, wieder zu kommen.
Fazit: Unsere
Erwartungen sind bei weitem übertroffen worden, die Resonanz unseres Vorhabens
war unerwartet gut. Das Fernsehen aus der Region brachte einen sehr schönen
Beitrag über Groß-Alisch und die Sachsen, die einst hier gewohnt haben, sowie
über unser Treffen.
Für die
Geschichte des Ortes war es ein politisch-kulturelles Ereignis von besonderer
Bedeutung.
Bericht:
Wilhelm Paul
Fotos: Albert Schuster, Georg Zakel
© R. Menning 2002